Toskana Juni 1999

Ein Bericht von Karl Greinwald

Versuch eine Liebschaft zu skizzieren

Es fing alles schon mal mit einer riesigen Enttäuschung an. Eigentlich sollten wir am Morgen des 3.6.99 um 6 Uhr 45 ganz entspannt und erholt mit dem Autoreisezug in Rimini ankommen. Tatsächlich kamen wir erst am 3.6.99 gegen 18 Uhr an: "Die Bahn hat uns einen ganzen Tag Urlaub gestohlen". Das ließ sich leider nicht mehr wegleugnen. Aber man kann immer noch das Beste daraus machen.

Also rauf auf unsere Boxer und erst mal raus aus Rimini. Wir wollten ganz gemütlich nach Sansepolcro fahren, jetzt mußten wir halt etwas schneller machen. Zum Glück kannten wir die Strecke von 1998 schon teilweise. Also zuerst mal auf der Nr. 258 über Verucchio nach Pietracuta, dort links weg in den Süden nach San Leo. Die Rocca in S. Leo ist wirklich sehenswert. Eine extrem steile und enge Auffahrt verlangen schon mal ein gewisses "Grundkönnen". Aber imposant. Dann die Aussicht über die tief unten liegende Landschaft. Weiter geht's nach Montecopiolo durch wilde Hügel und blühende Ginsterwaldlandschaften, einmalig schön.

Schnell waren wir in Carpegna und ließen uns von den unglaublichen Kurven voll und ganz in Anspruch nehmen. Ja man merkts, nach diesen wenigen Kilometern war's wieder da, dieses Gefühl genau zum richtigen Zeitpunkt einzulenken, rauszuziehen und am Punkt zu beschleunigen. Ich war wieder zu Hause in "meiner Toskana". Aber halt, das hier sind doch geographisch noch die Marken, genau und das glaube ich war der Punkt an dem eine neue Beziehung begann.

Bei Pennabilli trafen wir wieder auf die Nr. 258 der wir dann auch bis Sansepolcro folgten. Eine herrliche Straße die sich auf einem Höhenrücken windet und uns eine "Spitzenkurve" nach der anderen beschert. Kurz vor Sansepolcro öffnet sich der Blick ins Tal und auf die kleine Stadt in der wir unser Quartier schon bestellt haben. Sansepolcro liegt genau an der Grenze zu den Marken, noch in der Toskana, sehr beschaulich und italienisch.


Mit Hilfe einer kleinen Skizze, die uns die junge Wirtin vom Fiorentino, gefaxt hatte, fanden wir ganz leicht unsere Herberge, glücklich, daß wir den verlorenen Tag noch einigermaßen aufholen konnten. Als unsere Boxer in der Tiefgarage verstaut waren, wir uns zivilisiert hatten, wartete die nächste Überraschung auf uns. Diesmal aber positiv!

Das Fiorentino ist ein herrliches altes Lokal, stilvoll ohne gespreizt zu sein, hervorragend geführt ohne sauteuer zu sein, also genau das was meines Vaters Sohn immer sucht! Glück gehabt! Hier würden wir also die nächsten 3 Tage Station beziehen.

Am Morgen haben wir dann die Restbestände des herrlichen Vino Nobile in der nächsten Caffebar mit Espresso bekämpft und schon ging's los zu unserer ersten Tagestour. Die begann gleich mit einem Paukenschlag. Der Bocca Trabaria. 5 km südlich von Sansepolcro steigt die Nr. 73 hoch an, von daher vielleicht der Begriff "Bocca".

Sie führt uns über Kurven vom Feinsten hoch hinauf. Die Straßenführung läßt den Großteil der Alpenpässe ziemlich trübe aussehen, auch was die Qualität des Belages angeht. Die Reifen schmatzen in jeder Kurve und scheinen keine Haftgrenzen mehr zu kennen. Daß hier das Wort dichter Verkehr oder Tourismus ein unbekanntes Wort ist, sei hier nur noch am Rande erwähnt. Um es kurz zu machen, es war ein Traum. Oben angekommen war eine kleine Pause fällig, eine Art Gedenkminute: "wie sollte ich jemals wieder am Motorradfahren in Oberbayern gefallen finden?" Es war einmal mehr um mich geschehen.

Über S. Angelo und Urbania, hier wurde wieder in schöner entspannter Atmosphäre Koffein in hochverdichteter Form nachgefüllt, immer noch auf herrlichen Straßen, erreichten wir Urbino, eine der schönsten Renaissancestädte in den Marken. In unseren Topcase' hatten wir Besichtigungsgewand dabei und machten uns auf den Weg. Aber es hielt uns einfach nicht lange. Wir waren noch nicht genug gefahren. In Urbino bogen wir scharf in den Süden ab nach Fermignano, weiter nach Aqualagna und Cagli und nach Gubbio. Es sind nicht nur die vielen Kurven, die traumhafte Landschaft und die weiche, gewürzduftende Luft, die zum Erlebnis werden. Es ist vorallem auch das entspannte Fahren das hier möglich ist. Man hat nur einen Bruchteil des aus Deutschland gewohnten Verkehrs, oder auch wie er im Zentrum der Toskana zu finden ist. Dies macht hier, neben den anderen Vorzügen, das Fahren zum Genuß. Es lebe der einsame Osten!

Von Gubbio aus fuhren wir dann über Citta die Castello nach Sansepolcro zurück. Geplant war eigentlich bei Umbertide nach Pietralunga, nordöstlich, zu fahren und dann in Citta di Castella anzukommen. Wir waren aber schlichtweg zu müde um diese Bergrunde noch zu fahren. Man will am Anfang immer zuviel sehen und dies und das noch mitnehmen. Die Kunst läge in der Beschränkung, aber bei diesen Landschaften, diesen Kurven......?! Es sind dann noch ca. 230 km geworden, mehr als genug für diese kleinen Straßen und das viele Schauen.

Den Abend genossen wir im Da Ventura. Ein Ristorante auch in Sansepolcro. Man ißt hier ebenfalls ganz hervorragend. Etwas traditioneller, etwas schwerer als im Fiorentino aber wirklich gut. Der Schweinerollbraten war ein Gedicht.

Anschließend mischten wir uns unter das promenierende Volk, eben sehen und gesehen werden. So exzessive wie in dieser kleinen Altstadt habe ich das allerdings noch nie erlebt. Absolut dichter Fußverkehr in den engen Gassen. Gottseidank ist das Tags über auf den Straßen ganz anders.

Samstagsmorgen, wie jeden Morgen in Italien, als erstes der Gang zur Konditorei. Die sind in der Frühe eigentlich immer ganz leicht zu finden. Man geht nur dem Geruch von Kaffee und Dolces, dem süßen Gebäck, nach. Fast jede Bäckerei-Konditorei bietet dieses "italienische" Frühstück an. Es ist was herrliches so den italienischen Tag zu beginnen.

Von Sansepolcro gings also los auf der Nr. 258 südlich bis Citta di Castello. Dort lauerte der Karte nach, die nächste Bocca auf uns und zwar die Bocca Serriola. Dem ersten Eindruck nach nicht ganz so kurvig wie die Bocca Trabaria. Aber unterscheide schon mal zwischen vielen schönen Kurven und noch mehr schönen Kurven. Man wird schon fast unbescheiden. Um's kurz zu machen, es war einfach wieder wunderbar. Wir ließen unseren Boxern ihren Lauf und uns das Vergnügen. Hier waren wir nun schon im wilden Herz der Marken und da gibt's ja die Trüffel. Ich fand auch ein Hinweisschild auf eine "Trüffelfabrik". Ich fuhr also hin. Das ganze entpuppte sich als kleine Kirche mit Wohnhaus für den Mesner, der gleichzeitig der "Fabrikchef" war. Sehr romantisch und ganz bezaubernd auf einem Hügel gelegen. Als wir der Mesnerin klargemacht hatten, daß wir wegen der Trüffel da wären, verschwand sie zum Telefon und zitierte Ihren Mann herbei, der im nächsten Dorf einem dritten Broterwerb nachging. Wir genossen derweil den herrlichen Rundblick der sich uns bot und ließen im Schatten der kleinen Kirche auch der GS eine Verschnaufpause. Der Mesner erklärte uns sehr freundlich alles über den Trüffel. Für unsere Frauen kauften wir schließlich noch eine Probeknolle. Er gab uns seine Adresse mit und wollte wissen ob wir nicht ein Ristorante hätten, er würde die Trüffeln auch nach Deutschland schicken. Also wenn ihr die Adresse braucht...... kein Problem.

Weiter gings über Apecchio bis zur Abzweigung nach Serravalle di Carda, zum Monte Nerone. Der Berg führt in herrlichen, steilen Kurven auf 1525 m hinauf. Eine beschwingte, flotte Fahrt, die uns vom fetten Sommergrün der Marken, hinauf auf feine, blühende Almwiesen führte, wie man sie eigentlich auch von oberbayrischen Almen kennt. Der Blick der sich uns dann bot war traumhaft. Tief unter uns; in den Alpen hat man dieses "die Höhe sehen und empfinden können" sehr selten. Hier konnten wir es rundum genießen.

Weit unter uns die Hügelketten Umbriens und der Marken und im Westen ging der Blick bis in die Toskana. Man meint ganz Italien läge einem zu Füßen. Den stahlblauen Himmel erwähne ich nur noch am Rande. Während der ganzen Fahrt, rauf und runter, bekamen wir nur 2 Fahrzeuge zu sehen. Am Gipfel einen Funkamateur, der an einem landesweitem Wettkampf teilnahm und beim Rückweg begegnete uns ein typisch italienischer Vespa Dreiradler, dessen Fahrer sich fast den Hals nach unseren Boxern verdrehte.

Aber genug geschwärmt. Wir tauchten wieder ein in die Hügellandschaft und fuhren weiter in den Osten bis Piobbico, dort orientierten wir uns nach Norden über Piano nach Urbania, kreuzten die Nr. 73 und fuhren nach Sassocorvaro. Inzwischen war es schon ziemlich heiß geworden und wir hofften in dem kleinen See Abkühlung zu finden. Die Ortschaft liegt herrlich über dem See und ist eine kleine Idylle. In einer winzigen Osteria, wir waren die einzigen Gäste und wurden entsprechend freundlich behandelt, machten wir kurz Pause. Mit der Abkühlung wurde es nichts. Das kleine tiefblaue Gewässer ist rundum gesperrt, weil es ein kleiner Stausee ist und der Sog für die Schwimmer scheinbar gefährlich sein kann.

Also um den See rumgefahren über Lunano nach S. Angelo auf der 73er über Mercatello sul Metauro bis Borgo Pace. Dort in den Norden über Montelabreve, Palazzi und auf die 258er bei Badia Tedalda. Teilweise war das eine Fahrt über ungeteerte Straßen. Endlose Staubfahnen sind nicht so mein Fall, wenngleich die Landschaft und die Straßenführung herrlich war. Von Badia Tedalda bis Sansepolcro gings dann wieder in der verschärften Walzergangart durch das Kurvenlabyrinth in unser Standquartier.

Pieve di S. Stefano liegt ein paar Minuten nördlich von Sansepolcro. Am frühen Abend sind wir da mit unseren Maschinen hingefahren, denn dort gibt es einen hinreißenden Rundkurs zu fahren, den wir 1998 entdeckt haben. Kommt man nach Pieve rein, macht die Hauptstraße einen Bogen nach links, man kann aber auch eine kleine Straße nehmen, gerade aus fahren, der Straße dann nach rechts folgen und gleich wieder auf kleiner kurviger Bergstraße nach Osten driften. Es geht über eine Passstr. (scheiß Rechtschreibreform) die du bis zur Fußraste fahren kannst, zum Pso di Frassineto und dann zum Pso. Die Viamaggio, da sind wir dann wieder auf der 258 er und düsen wieder nach Sansepolcro. Ein würdiger Abschluß für einen herrlichen Tag. Halt, nach dem Essen folgt ja noch der Corso.

Dieser Corso, tja der hat schon was an sich. Wenn der Papa unter Aufsicht der Mama mal wieder auf die Straße darf und vielleicht mal einen Blick auf die jungen Dinger erhascht, sehr verstohlen und sehr kurz natürlich. Oder wenn der Typ, mit Sonnenbrille und Goldkettchen auf der haarigen Brust, sein Liebchen vorführt und den Beifall für die Eroberung von seinen Kumpanen einheimsen will. Sie sich der Ehre voll bewußt ist und entsprechend blasiert über das gemeine Volk hinwegsieht; Der geschniegelte Conte der seine Seniora samt Töchterchen in durchsichtigem Minifetzen den heiratsfähigen Männern vorstellt und hofft endlich einen potenten Zahler für sein vergammeltes Gut zu finden. Das ist volles, lautes Leben. Mitten drin dann wir zwei Motorradler. Das hat schon was. Besser wie Fernsehen und Kino und eine der ganz liebenswürdigen Seiten des italienischen Lebens. Und ich schwöre, daß es so war!

Am Sonntagmorgen mußten wir uns dann wieder etwas gen Norden richten. Aber noch nicht heim! Erst stand noch eine meiner Lieblingsstrecken auf dem Programm. Der Monte Falterone, dann der Apennin und die Übernachtung im Torre di Jano in Sasso Marconi. Aber der Reihe nach, denn da liegen noch mächtig schöne Kilometer dazwischen.

Los geht's damit schon bei Pieve S Stefano, nördlich von Sansepolcro. Man biegt dort ab auf die 208 nach Bibbiena. Die Straße ist eine Wucht. Ein ständiges Auf und Ab, Kurve an Kurve. Es gibt keine bleibende Höhe und keine Gerade. Es gibt nur ein Konzentrat aus auf- und absteigenden Kurven. In Bibibena angekommen brauchen empfindliche Naturen erst mal einen Magenbitter. Von Bibbiena geht's weiter nach Poppi und nördlich auf die 310er nach Stia. Hier geht's nordöstlich auf der 310er in den Naturpark Casentinesi. Als erstes erreichen wir den Passo la Calla auf 1300 m. Herrliche Kurven, tolle Steigungen und das Gefühl einen gewagten Alpenpass anzusteuern, heben die Stimmung trotz des Gefühls, daß der Urlaub sich dem Ende zuneigt. Wir fahren durch diese bezaubernde Wald- und Berglandschaft bis S. Sofia. Hier geht's runter in den Süden bis Bagno die Romagna, danach gleich rechts weg auf die 71er und den Pso d. Mandrioli rauf (1173 m), bei Badia Prataglia wieder rechts zum Passo Fangacci (1449 m). Dort erreicht man dann die Eremo di Camaldoli. Das ist eine mittelalterliche Einsiedelei, die immer noch von Mönchen bewohnt ist und kulturell wie landschaftlich durchaus sehr empfehlenswert ist. Bei Pratovecchio, ganz nah bei Stia, dem Ausgangspunkt dieser gefahrenen Schleife, kommen wir auf die 310er und müssen nun endgültig in den Apennin nach Norden einbiegen. Über Stia geht's auf die 556er bis Sandetole und Dicomano, weiter nach Borgo S Lorenzo, Pso. di Raticosa, Loiano bis Pian die Macina. Von dort nach Westen unter der Autobahn durch nach Sasso Marconi rein und rauf zum Torre di Jano. Bisher habe ich es noch jedesmal bei meinen 4 Toskanatouren geschafft hier wenigstens einmal Station gemacht zu haben.

Aber so einfach darf man den Apennin nicht abhaken. Wer die kurvige und teils verwegene Autobahn von Bologna nach Firenze kennt, kann sich in etwa vorstellen wie wild diese Strecke erst auf der Landstraße ist. Ein Ereignis, das einem Motorradurlaub noch mal einen richtigen Höhepunkt setzen kann, oder ihn richtig eingestimmt beginnen läßt. Aber auch hier meine Empfehlung unbedingt den Osten anzusteuern. Denn der Westen führt zu den Küstenregionen und hat entsprechendes Verkehrsaufkommen.

Tja das Torre di Jano. In dieses kleine, nach landläufiger Meinung, verkommene Villenhotel habe ich mich einfach verliebt. Ein herrliches Abendessen auf der fackelbeschienen Veranda, die wie ein riesiger Balkon in den Apennin hineinzuragen scheint, setzte dann den Schlußpunkt unter eine wunderschöne Fahrt mit unvergeßlichen Erlebnissen und Erfahrungen.

Trauriger Höhepunkt dann die Heimfahrt am Montag. Schon das Aufstehen! Mein Gott, endlos, bis ich fähig bin meine Koffer zu packen, die Kombi anzuziehen und sich vom jungen Wirt zu verabschieden. Traurig, traurig.

Um die Fahrt etwas kurzweiliger zu gestalten fahren wir an das Südufer des Gardasees und von dort zum Idrosee usw. Eine einzige Enttäuschung. Wir hätten's besser gelassen. Obwohl, vielleicht hat's das Heimkommen dann doch erleichtert. Eins steht aber fest nie mehr Gardasee. Dieser Zugang, dieser Trubel, diese Hektik - kurz, einfach ein deutscher Kulturschock!

zurück zu Motorrad-Reiseberichte